"Eingesperrtes" Kind zuhause. Laut einer französischen Untersuchung erhöhten sich die Sitzzeiten während der Pandemie um noch einmal 75 Minuten am Tag. In Deutschland werden bei Schülerinnen und Schülern (mit zunehmendem Alter) sowie Studierenden inzwischen rund 12 Stunden bleiernes Sitzen verzeichnet.

von apl. Prof. Dr. Gerhard Huber, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Universität Heidelberg

 

Sitzen produziert Stoffwechselentgleisungen

Sitzen und Schlafen weisen nahezu den gleichen Energieumsatz auf. Das ist alarmierend: Im Sitzen verbrauchen wir nur unwesentlich mehr Energie als im Schlaf. Und somit leistet langes Sitzen der Entstehung von Übergewicht Vorschub. Lange Zeit war „Sitzen“ vor allem ein orthopädisches Problem. Inzwischen ist bekannt, dass die weitaus größere Gefahr von metabolischen Auswirkungen ausgeht: „Use it or lose it.“ Das gilt nahezu für alle Körperfunktionen, aber ganz besonders für die Muskulatur. Im Sitzen wird vor allem unsere posturale Muskulatur nur wenig bis gar nicht genutzt. Wir wissen inzwischen, dass der Abbau der Muskulatur einen bedeutsamen Faktor der Funktionseinschränkung und Alterung darstellt. Sitzen produziert zudem eine Reihe von Stoffwechselentgleisungen, die z. B. für den Glukosetransport in die Muskelzelle sorgen.

Die Energieaufnahme ist im Durchschnitt eher rückläufig und liegt nicht über den Empfehlungen der Fachgesellschaften, Bewegung ist der Schlüssel

Besonders sensibel reagiert der Knochenstoffwechsel auf zu langes Sitzen, da dieser auf den beständigen trophischen Reiz des aufrechten Ganges angewiesen ist. Dadurch werden Bewegungsmangelerkrankungen begünstigt. Dazu gehören kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes Typ 2 und sogar Krebserkrankungen. Zudem begünstigt langes Sitzen die Entstehung von Übergewicht. Wer hier angesichts eines durch Bewegungsmangel verursachten niedrigeren Energieumsatzes nach angepassten Ernährungsempfehlungen ruft, hat das Problem nicht verstanden. Die nahrungsinduzierte Energieaufnahme ist im Durchschnitt ohnehin eher rückläufig und liegt nicht über den jeweiligen Empfehlungen der Fachgesellschaften. Es gilt, die „Karriere“ des sitzenden Lebensstils schon im Kindesalter zu verhindern und Kindern die Freude an einem aktiven und bewegten Alltag zu erhalten und sie in ihrer Bewegungsfreude zu bestärken. Das Dauersitzen jedenfalls stellt allein einen bislang noch nicht korrekt erfassten und ausreichend beachteten gravierenden Risikofaktor für die Gesundheit ganzer Generationen dar.

Mehr Bewegung im Alltag muss sein – der sitzende Lebensstil darf sich nicht weiter verfestigen

Der sitzende Lebensstil stellt einen entscheidenden Hebel zur Bekämpfung der juvenilen Übergewichtsepidemie dar. Lösungsansätze sind nur interdisziplinär zu finden und unter Einbeziehung der psychosozialen Perspektive denkbar. Aus der Sicht der Bewegungswissenschaft lassen sich die wesentlichen Umsetzungsempfehlungen so zusammenfassen:

  1. Täglich mindestens 60 Minuten körperliche Aktivität. Das schließt ein, den Schulweg aktiv zu gestalten, Spielen mit körperlicher Beanspruchung zu verbinden, Treppen steigen zu integrieren usw.
  2. Mindestens zweimal pro Woche sportliche Aktivitäten, die geeignet sind, Koordination, Ausdauer und muskuläre Stabilität zu verbessern.
  3. Vermeidung von Sitzzeiten; wenn das nicht möglich ist, Sitzunterbrechungen und Reduzierung von Sitzzeiten fest einplanen.
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