Immer längere Sitzzeiten schon bei Kindern und Jugendlichen

Zu langes Sitzen ist letztlich nicht gesundheitsförderlich – das dürfte allen klar sein. Ein Großteil der mit Dienstleistungen beschäftigten Menschen sitzt täglich leider immer öfter und vor allem immer länger. Hinzu kommt, dass der Weg zur Arbeit meist sitzend in Bus und Bahn oder im Auto zurückgelegt wird und viele auch ein Großteil ihrer Freizeit vor den Bildschirmen verbringen. Als moderne Gesellschaft leben wir also ganz offensichtlich in einer Sitzwelt. Die Folge von zu wenig Bewegung im Alltag sind mannigfaltig. Wir werden im Durchschnitt immer gewichtiger, gar übergewichtig, leiden unbestritten immer öfter unter Rücken- und Gelenkproblemen, muskulären Verspannungen sowie Fettstoffwechselstörungen und in der Folge auch an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.

Das Betrübliche für unser Gemeinwohl: Schon viele Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig, und mit zunehmendem Alter werden die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), täglich 60 Minuten mäßig bis intensiv körperlich aktiv zu sein – sich also sportlich zu betätigen – immer seltener erreicht. Die Mehrheit der 11- bis 17-jährigen Mädchen und Jungen bleibt allzu oft untätig und verbringt den Alltag wie die Erwachsenen vor allem sitzend. Wir haben an dieser Stelle bereits darüber berichtet, siehe hier und hier. Das ist insofern bedenklich, da durch den frühen Bewegungsmangel bereits im Kindes- und Jugendalter chronische Erkrankungen vorprogrammiert werden, die wir eher mit älteren Menschen in Verbindung bringen.

70 Prozent der Wachzeit werden unbewegt verbracht

Professor Dr. Gerhard Huber und sein Team vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Heidelberg haben die Sitzzeiten von Kindern und Jugendlichen an Werk- und Wochenendtagen entlang der Schulklassenstufen in Deutschland, Luxemburg und Österreich unter die Lupe genommen. Mit Hilfe eines validierten Fragebogens wurden die täglichen Sitzzeiten von 4.385 Kindern und jungen Menschen im Alter von 4 bis 20 Jahren systematisch erfasst.

Die Ergebnisse sprechen für sich: Die mittlere Sitzzeit liegt bei 10,5 Stunden pro Werk- und 7,5 Stunden pro Wochenendtag. Die Befragten verbringen über 70 Prozent der Wachzeit an Werktagen und mehr als die Hälfte der Wachzeit an Wochenendtagen unbewegt. Natürlich sind die Sitzzeiten unter der Woche höher, weil allein der Aufenthalt in der Schule und der notwendige zeitliche Raum für das Lernen sowie Hausaufgaben einen erheblichen Anteil ausmachen.  

Digitales Freizeitvergnügen: Drei Stunden Bildschirmzeit an Wochenendtagen

Sitzzeiten, denen Freizeitaktivitäten und hier vor allem Bildschirmzeiten zugeordnet werden können, verschlingen an Werktagen im Mittel immerhin noch fast zwei Stunden (1,85 h) und summieren sich an Wochenendtagen auf über drei Stunden (3,07 h). Schon in anderen internationalen Untersuchungen war aufgefallen: Mit zunehmendem Alter nehmen die täglichen Zeiten für Sport und Bewegung bei Jungen und Mädchen ab. Die Heidelberger Forscher konnten ihrerseits eine stetige Zunahme der Sitzzeiten beobachten, und zwar bezogen auf schulische Klassenstufen, Jahrgang für Jahrgang. Einen vergleichbaren fortlaufend altersbezogenen Anstieg der Sitzzeiten von Kindern und Jugendlichen förderten ebenso Untersuchungen in den USA zutage.

Appell: Die Sitzwelt zu einer Bewegungswelt machen

Immer mehr Experten rufen zu Maßnahmen auf, die zu mehr Alltagsbewegung führen sollen. Dafür ist Sport natürlich das Beste, aber auch andere „bewegte Alternativen“ zum Sitzen sind denkbar: Wenn es die Entfernung und das Wetter hergeben, sollten wir für den Weg zur Schule, Universität oder zum Arbeitsplatz umsteigen vom Auto oder von Bus und Bahn auf das Fahrrad oder schlicht die Strecke zu Fuß zurücklegen. Wo Rolltreppen zum bequemen Stehenbleiben verleiten, wäre es besser, auf das konsequente Treppensteigen zu wechseln. Unsere Kinder sollten wir in ihrem natürlichen Bewegungsdrang fördern. Das fordert freilich ein gewisses Maß an Unterstützungsbereitschaft von Eltern und Co., aber es ist machbar. Noch schöner ist es, wenn es gelingt, Kindern Spaß und Freude an vielfältiger Bewegung zu vermitteln und sie dabei zu unterstützen, „ihre“ Sportarten zu finden. Wo Vereine keine Alternative sind oder im Alltag durch fixe Termine zu viel Stress bedeuten könnten, sollten Kinder und junge Menschen zumindest dazu animiert werden, möglichst viel draußen zu spielen bzw. sich zu bewegen. In vielen Gemeinden gibt es immer mehr kostenfreie Angebote mit Sport- und Bolzplätzen, Skateranlagen und sogar Outdoor-Fitnesseinrichtungen sowie neue Trimm-Dich-Pfade für das individuelle Sportprogramm unter freiem Himmel. Bei gemeinsamen Freizeitaktivitäten am Wochenende oder an Feiertagen empfiehlt es sich, auf „bewegte“ Programme zu bauen. Geocaching-Ausflüge etwa können als spannendes Abenteuer erlebt und mit viel Bewegung an der frischen Luft verbunden werden. Gemeinsame Fahrradtouren bieten sich ebenso an. Gemeinsame bewegte Erlebnisse fördern und stärken übrigens das Gemeinschaftsgefühl. Alles in allem: Machen wir uns unsere Vorbildrolle bewusst und gehen als Erwachsene mit gutem Beispiel voran.

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von apl. Prof. Dr. Gerhard Huber, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Universität Heidelberg

 

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