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Studien liefern keine Evidenz für Nutzen von Werbeverboten

Wie belastbar ist eigentlich die wissenschaftlich-statistische Basis des vielfach geforderten Werbeverbots für Lebensmittel, die nicht den Anforderungen des WHO Nährwertprofil-Modells entsprechen? Anlass für unsere diesbezügliche Untersuchung ist u. a. die Aussage „die Studienlage ist glasklar“, mit der Professor Dr. Berthold Koletzko, Stoffwechselspezialist an der Universitätskinderklinik München und Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, die einschlägige (Medien-) Meinung zusammenfasst: „Die Exposition gegenüber Werbung ist unmittelbar mit vermehrter Adipositas verbunden."

 

von Katharina Schüller, STAT-UP Statistical Consulting & Data Science GmbH, München und Prof. Dr. Walter Krämer, Fakultät Statistik, TU Dortmund

Titelfoto: © frank peters/stock.adobe.com

 

Weder die Gesundheit noch der Konsum von Lebensmitteln von Kindern werden untersucht

Eine unvoreingenommene Bewertung der Studienlage kommt zum gegenteiligen Ergebnis. Die Evidenz eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Werbeexposition von Kindern und vermehrter Adipositas ist nicht gegeben. Vielmehr gilt: Die Studien, die als Grundlage dienen sollen,

i. stellen entweder keinerlei derartige Behauptungen auf,

ii. sind methodisch nicht geeignet konstruiert, um einenkausalen Zusammenhang aufzeigen zu können, oder

iii. sind inhaltlich und methodisch derart mangelhaft, dass die Aussage der Studie haltlos ist.

Studienergebnisse werden also (i) von Dritten falsch interpretiert, (ii) berücksichtigen keine möglichen und verursachenden Risikofaktoren oder haben schlicht eine zu kurze Beobachtungsdauer oder (iii) adjustieren das Signifikanzniveau nicht adäquat, sodass das Risiko falsch positiver Ergebnisse weit höher ist als die üblicherweise akzeptierten 5 Prozent.

Hinzu kommt das Problem der Publikationsverzerrung – Studien mit statistisch signifikanten Effekten werden eher publiziert. Damit werden Zufallseffekte überproportional berichtet.

Grundsätzlich ist ohne randomisierte kontrollierte Studie ein Kausalzusammenhang praktisch nicht oder nur mit aufwendigen statistischen Methoden (z. B. Instrumentalvariablen) nachzuweisen. Es ist insbesondere fraglich, ob Übergewicht bei Kindern durch die Werbeexposition oder eher durch einen damit verbundenen übermäßigen Medienkonsum und geringe körperliche Aktivität verursacht wird.

Ist da, wo Evidenz draufsteht, auch wirklich Evidenz drin?

Häufig wird ein statistischer Zusammenhang zwischen einem Gesundheitsproblem und der Risikoexposition als Nachweis einer Ursache-Wirkungs-Beziehung aufgefasst. Aber oft ist die Richtung des Zusammenhangs nicht klar: Wenn Menschen mit (moderatem) Alkoholkonsum etwas länger leben als Abstinente, bedeutet das nicht, dass Alkohol gesundheitsfördernd ist. Es kann auch sein, dass Menschen aufgrund von Gesundheitsproblemen keinen Alkohol trinken und früher sterben. Auch der Begriff der „statistischen Signifikanz“ wird häufig falsch verstanden. „Statistisch signifikant“ bedeutet: Ein beobachtetes Ergebnis ist unter Annahmen eines Zufallsprozesses äußerst unwahrscheinlich, wenn der erforschte Effekt nicht existieren würde. Beobachtet man es trotzdem, erhält man ein falsch positives Resultat („Fehler 1. Art“).

Eine evidenzbasierte politische Präventionsmaßnahme – wie etwa ein Werbeverbot – erfordert „die Ermittlung des präventiven Potenzials auf der Basis repräsentativer nationaler Expositionsdaten und evidenzbasierter Risikoschätzer“. Neben 1) dem Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen Exposition und Gesundheitsproblem braucht es also 2) eine valide Abschätzung des präventiven Potenzials der Intervention und 3) die fortlaufende Evaluation inklusive eines Kriteriums zur Beendigung der Intervention, wenn das erwartete Ausmaß nicht erreicht werden kann.

 

 

Der ausführliche Beitrag zum Thema ist erschienen in der Reihe "Nachrichten aus der Wissenschaft" und kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

 

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