Nutriscore von A bis E

Nutriscore von A bis E

Umstritten – der Nutri-Score

Es ist beschlossen – die Bundesregierung will in Deutschland den Nutri-Score als zusätzliche erweiterte freiwillige Nährwertkennzeichnung für Lebensmittel einführen.

Übergewicht und Adipositas sind in Deutschland ein ernstzunehmendes Problem. Die Ursachen sind vielfältig und zu ihnen zählen neben unserer genetischen Ausstattung, an der wir nichts ändern können, auch solche Einflussfaktoren, bei denen es grundsätzlich jeder in der Hand hätte, gegenzusteuern: Viele Menschen bewegen sich zu wenig und sitzen zu lange, sind Stress ausgesetzt, der auch den Lebensstil vielfältig beeinflusst, und essen nicht ausgewogen und in Relation zu ihrem Energieverbrauch zu viel. Und obwohl man eigentlich an vielen Stellschrauben drehen müsste, um Übergewicht gar nicht erst entstehen zu lassen oder bestehendem zu Leibe zu rücken, steht das, was wir essen, bei vielen im absoluten Fokus. Bei der Auswahl aus dem breiten Lebensmittelangebot soll in Deutschland zukünftig der Nutri-Score eine Hilfestellung sein. „Als erweitertes Nährwertkennzeichen für Deutschland will ich den Nutri-Score einführen", so die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner im Herbst 2019. Der Nutri-Score soll es ermöglichen, auf einen Blick zu erfassen, was in einem Lebensmittel drinsteckt, und verschiedene Produkte innerhalb einer Produktgruppe einfach zu vergleichen. Der BDSI sieht den Nutri-Score auf der Basis grundlegender wissenschaftlicher und auch rechtlicher Bedenken kritisch.

Vor dem Lebensmittelregal sofort den Überblick haben, was gut für mich ist und was nicht? Das klingt eigentlich gut! Eine freiwillige und schnell verständliche Nährwertkennzeichnung ist durchaus wünschenswert – doch der Nutri-Score ist keine Option. Warum?

Der Nutri-Score ist irreführend, missverständlich und nicht transparent

  • Die Farbskala des Nutri-Scores reicht von grün bis rot. Und dieses Farbsignal weiß jedes Kind zu lesen: „Grün“ bedeutet gut/gefahrlos/gesund, und „Rot“ schlecht/gefährlich/ungesund. Kann ich mich nun aber darauf verlassen? Der Nutri-Score zeigt z. B. auf den Tiefkühl-Pommes ein dunkelgrünes A an und auf einem Colagetränk light und für ein Schnitzel ein hellgrünes B. Mehr sagt er sowieso nicht: nichts über die Menge, die ich essen sollte bzw. darf, und nichts darüber wie oft ich etwas essen sollte.
  • Und was bei der Zubereitung eines Produktes zuhause noch dazukommt, also beispielsweise das Fett beim Frittieren der Pommes oder das anschließende Salzen etc. – das berücksichtigt der Nutri-Score auch nicht. Obwohl dadurch die Nährwerte erheblich verändert werden können.
  • Außerdem steht der Nutri-Score nur auf Produkten bzw. deren Verpackung. Es gibt keine Kennzeichnung von loser (frischer) Ware wie Fleisch, Wurst und Käse, von Backwaren, Kuchen und Torten in Bäckereien, (Eis-)Cafés und Konditoreien und auch nicht von sämtlichen Angeboten in Restaurants, Bars, Bistros und – soweit nicht verpackt – Kantinen oder bei Caterern. Eine ziemlich unvollständige Sache also.

Die Bewertung eines einzelnen Lebensmittels ist unsinnig

  • Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sagt: „Alles ist erlaubt, aber in Maßen.“ Das heißt, es gibt keine vermeintlich guten und schlechten Lebensmittel, sondern die Menge und die Mischung macht’s.
  • Nur meine gesamte Ernährung kann bewertet werden: als gesundheitsförderlich oder nicht ausgewogen. Der Nutri-Score bewertet aber nur ein einzelnes Lebensmittel und das auch noch fragwürdig, wie das Beispiel oben zeigt. Diese Einzelbetrachtung bringt im Endeffekt nichts.

Der Nutri-Score bewertet pauschal und Wichtiges wird nicht berücksichtigt

  • Wie der Nutri-Score zu seiner Bewertung kommt, ist schwer zu durchschauen und obliegt für alle feste Lebensmittelgruppen mehr oder weniger einem Algorithmus. Daneben gibt es noch eine gesonderte Bewertung für Getränke. Zwar findet man im Internet Erläuterungen, was der Nutri-Score so alles berücksichtigt, aber man selbst kann das anhand der Zutatenliste auf einem Produkt gar nicht ausrechnen oder nachvollziehen.
  • Und: Inhaltstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe oder hoch ungesättigte Fettsäuren spielen beim Nutri-Score leider gar keine Rolle.

Er ist wissenschaftlich nicht abgesichert

  • Ein Großteil der Studien stammt von einer einzigen Forschergruppe, die den Nutri-Score grundsätzlich befürwortet.
  • Bisher nicht untersucht ist, ob sich die Kennzeichnung mit dem Nutri-Score beim alltäglichen Einkauf bewährt. Deshalb ist völlig unklar, ob er überhaupt einen Effekt haben wird.

Allein eine Kennzeichnung auf verpackten Produkten wird aus Sicht des BDSI bei keinem von uns das Essverhalten nachhaltig verbessern. Es wäre viel sinnvoller, von klein auf zu lernen, wie eine gesundheitsförderliche Ernährung aussieht, etwas über die einzelnen Lebensmittel und ihre Zubereitung zu erfahren etc. Und auch wie ich mit den vielen Essensangeboten in meiner Umgebung umgehe oder mein Essverhalten in den Griff kriege, um in stressigen Zeiten, bei Langeweile oder Frust nicht unkontrolliert zu essen und zu trinken. Diese „praktische Ernährungsbildung“ für alle anzubieten, ist natürlich sehr herausfordernd und braucht Zeit, ist aber nach Ansicht des BDSI zielführender als ein zu vereinfachendes Kennzeichnungsmodell, dessen Grundlagen der Verbraucher nicht nachvollziehen und missverstehen kann.

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von apl. Prof. Dr. Gerhard Huber, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Universität Heidelberg

 

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