Es braucht mehr Ernährungsbildung

Es braucht mehr Ernährungsbildung

Im Alltag benötigen wir Wissen, Erfahrungen und praktische Kompetenzen, um Lebensmittel einzukaufen, zu bevorraten, zuzubereiten und anschließend mögliche Reste einer Weiterverwertung zuzuführen. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden solche Kompetenzen im Privathaushalt vermittelt, meist von den Müttern zu deren Töchtern, weniger an die Söhne. Durch die veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen ist diese Vermittlung von Ernährungskompetenzen innerhalb von Familien nicht mehr selbstverständlich. So wird zunehmend den Schulen die Vermittlung von sogenannten „food literacy“, also den praktischen und theoretischen Ernährungskompetenzen, zugeschrieben.

Von Professor Dr. Christine Brombach

In der Diskussion, was Schulen lehren sollen und insbesondere, welche Ernährungsbildungsinhalte dabei dann im Lehrplan umgesetzt werden sollen, besteht kein Konsens. Das Bildungssystem in Deutschland ist föderalistisch, es herrschen somit nicht nur über die Schulformen und Klassenstufen hinweg Uneinheitlichkeiten eines möglichen Lehrinhalts von „food literacy“, sondern auch in Bezug auf die Fächerzuschreibungen eines solchen Faches.

Wir alle stehen vor den Herausforderungen, sich in einem immer komplexer werdenden Waren- und Wissensangebot zurechtzufinden. So wird es eine der vordringlichen Aufgaben sein, mittels Maßnahmen im Bereich Ernährungsbildung die Menschen zu befähigen, ihre Ernährungsweise gesundheitsförderlich zu gestalten.

In vielen Studien wird die Zunahme an sogenannten „nicht übertragbaren Erkrankungen“ (non-communicable diseases, NCD) als eine weltweite Entwicklung beschrieben. Es sind vier Bereiche, die weltweit über 80% aller NCD-Todesfälle verursachen: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, Atemwegserkrankungen und Diabetes. Der Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und chronischen nichtübertragbaren Krankheiten ist umfassend untersucht worden. Langfristige prospektive Beobachtungsstudien und kurzfristige Studien haben verschiedene Erkenntnisse für potenzielle, kausale Zusammenhänge zwischen spezifischen Ernährungsfaktoren und nichtübertragbaren Krankheiten geliefert.

Ernährungsbildung zur Verhaltensmodifizierung?

Essen ist intuitiv, Ernährungsverhalten als Gesamtheit verschiedener Verhaltensbereiche jedoch sozial erlernt und dies während der Primärsozialisation in der Kindheit. Die Vorbildrolle der Erziehenden ist dabei entscheidend. Das Ernährungsverhalten umfasst eine Vielzahl von komplexen Handlungen, wie Auswahl, Einkauf, Kochen, Bevorraten, Entsorgen von Lebensmitteln. Die dazu notwendigen praktischen und theoretischen Kompetenzen müssen erlernt werden. Vielfach werden implizite Ernährungsverhaltensaspekte lebenslang beibehalten, jedoch durch Bildung weiterentwickelt. Ernährungsbildung als Teil von Bildung ist laut Ines Heindl: „…Erwerb von Fachwissen, als Befähigung zur Selbstbestimmung und als beiden Zielen dienende Befähigung für ein lebenslanges Lernen eine Basisbedingung des privaten und beruflichen Lebens und eine zentrale Aufgabe der Bildungs-, Berufs- und Wissenschaftspolitik geworden“. Ernährungsbildung umfasst damit neben impliziten Fähigkeiten und Fertigleiten auch die Vermittlung von expliziten theoretischen und praktischen Kompetenzen.

In einer komplexen Gesellschaft, in der Wissen exponentiell zunimmt und das Angebot an Lebensmitteln unüberschaubar geworden ist, wird die Vermittlung von Ernährungsbildung zunehmend in den Aufgabenbereich von Schulen gehören. Die Inhalte von Ernährungsbildung, die bisher als selbstverständlich galten und überwiegend ohne gezielte pädagogische Konzeption im Alltag, meist in den Familien, stattfanden, sollten nunmehr im pädagogischen Kontext neugestaltet, erweitert und Teil des schulischen verpflichtenden Curriculums werden. Damit wird der Ernährungsbildung ein neuer Stellenwert in den gesellschaftlichen Anstrengungen der Verhaltensprävention zugeschrieben. So muss Ernährungsbildung als Prozess verstanden werden, der neben den naturwissenschaftlichen Grundlagen der Ernährung auch soziale, ökologische und ökonomische Aspekte eines selbst bestimmten und mitverantwortlichen menschlichen Handelns beinhaltet. Unter Berücksichtigung unseres heutigen Essumfelds, der Lebensmittelangebote und auch der Angaben auf Lebensmitteln wie beispielsweise der Nährwertkennzeichnung und Labeln bedeutet es, neben der Kenntnis der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge der Ernährung auch zu lernen, wie ich Einflüsse erkenne und Informationen lese und wie z. B. eine Nähwertkennzeichnung einzuordnen und zu nutzen ist. Das ist mehr, also bloßes Verständnis oder Akzeptanz, sondern umfasst auch die praktische Kompetenz, eine entsprechende Wahl am POS zu treffen. Dabei wäre es wichtig zu verdeutlichen, dass für eine insgesamt gesunde Ernährung die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung maßgeblich sind, dazu gehören aber neben theoretischen Inhalten auch praktische Kochkompetenzen.

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