Chrononutrition: Wann wir essen, hat Einfluss auf Stoffwechsel und Gewicht

Chrononutrition: Wann wir essen, hat Einfluss auf Stoffwechsel und Gewicht

Unser ganzer Körper und sein Stoffwechsel werden von einem komplexen Netzwerk zeitlicher Rhythmen gesteuert. Welche Auswirkungen das auf unser Gewicht und die Entstehung von Erkrankungen hat, wurde kürzlich in einem umfassenden Review zusammengefasst.

Fänden wir es vernünftig, unseren Hund stets mitten in der Nacht zu füttern? Vermutlich nein. Und wenn doch wären die wenigsten überrascht, wenn beim liebsten Begleiter des Menschen Verdauungsprobleme oder Übergewicht auftreten würden. Bei uns selbst sieht die Sache dagegen ganz anders aus: „In vielen modernen Gesellschaften ist ein 24/7-Arbeits- und Sozialleben die Norm geworden, was zu unregelmäßigen Schlafens- und Essensmustern führt. Diese stören die Harmonie zwischen dem biologischen Tag, also unserer aktiven Phase und metabolischen Prozessen“, schreibt die Autorin des Reviews, Dr. Maninder Ahluwalia von der Cardiff School of Sport and Health Science in Wales (Vereinigtes Königreich) im Fachmagazin „Nutrients“. Die Folge – das zeigen die im Review ausgewerteten Studien – reichen von Übergewicht über verschiedene Stoffwechselstörungen bis hin zu Herzkreislauferkrankungen.

Wie unsere Körperuhren "ticken"

Neben unserer „Zentraluhr“ im Hypothalamus enthält praktisch jede Körperzelle ebenfalls ihre lokale Uhr, die zusätzlich in bestimmten Rhythmen "tickt" bzw. schwingt – je nach Gewebe und Aufgabe. Dieses umfassende Uhrennetzwerk wird von verschiedenen Genen reguliert und mit äußeren Faktoren abgestimmt. Dazu gehören vor allem der Hell-Dunkel-Zyklus, also Tag und Nacht, aber auch Außentemperatur oder das Nahrungsangebot. Diese sogenannten Zeitgeber (das deutsche Wort wird in der Chronobiologie sogar im Englischen verwendet: „Zeitgebers“) synchronisieren die Körperuhren und damit unsere biologischen Rhythmen, beispielsweise unsere Schaf- und Wachphasen, Immunaktivität, Stoffwechsel, Körpertemperatur oder Blutdruck.
Läuft alles optimal, finden die verschiedenen Aktivitäten in den ihnen zugedachten Zeitfenstern ab:

  • Die wache, aktive Phase findet größtenteils bei Tageslicht statt, und auch körperliche Aktivität und die Nahrungsaufnahme fallen in dieses Zeitfenster: Denn alles ist jetzt auf Energiebereitstellung, Auffüllen der Energiespeicher eingestellt – eben auf Aktivität.
  • Während der Ruhephase, wenn es dunkel ist, wird geschlafen und „gefastet“, also nicht gegessen: Jetzt ist der Körper nicht auf Verdauung eingerichtet, sondern auf Wachstum, Reparatur und Regeneration.

Was passiert, wenn die Uhren aus dem Takt kommen?

Wir sitzen bei künstlichem Licht den ganzen Tag im Büro, essen möglicherweise spät zu Abend oder snacken noch nach Mitternacht vor dem Fernseher, wieder bei künstlichem Licht. So kann eine deutliche Unwucht in den biologischen Rhythmen entstehen: Kein Tageslicht und keine körperliche Aktivität in der Wachphase, stattdessen zu viel Licht und Nahrung am Abend und in der Nacht. „Eine Fehlausrichtung der Aktiv- und Ruhe-Phasen führt zu chronobiologischer Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten und kann durch endogene Faktoren z. B. genetische Varianten in der Zentraluhr oder durch externe Lebensstilfaktoren bedingt sein, wie längere Exposition gegenüber künstlichem Licht, vermehrte Schichtarbeit, sitzender Lebensstil, unzeitiges und häufiges Snacken und häufiger Jetlag“, stellt Ahluwalia fest.

Ist die innere Uhr nicht nur kurzzeitig durcheinander, etwa bei einem einmaligen Jetlag, sondern nachhaltig gestört, bezeichnet die Wissenschaft das als Chronodisruption. Neben künstlichem Licht sind vor allem fehlgeleitete Ernährungsgewohnheiten wie nächtliches Essen oder unregelmäßige
Essenszeiten Faktoren, die unsere innere Uhr durcheinanderbringen, metabolische Prozesse stören und zu Übergewicht oder letztendlich zu Erkrankungen wie Fettstoffwechselstörungen, Herzkreislauferkrankungen oder Bluthochdruck führen, so Dr. Ahluwalia.

Was es braucht, um unsere biologische Uhr neu "einzustellen"

Wenn die Faktoren bekannt sind, die unseren Stoffwechsel in langfristig ungesunde zeitliche Schwingungen versetzen, ist auch die Lösung nah: „Ein relativ neuer Ansatz wird als Chrononutrition bezeichnet – er umfasst zwei Elemente: dietätische Komponenten, die das circadiane System regulieren und Essenszeiten, die falsch ausgerichtete innere Uhren synchronisieren“, schreibt Dr. Ahluwalia.

Das „Was“: Hier wird derzeit vor allem erforscht, welche bioaktiven Pflanzenstoffe helfen könnten, die inneren Uhren zu regulieren: Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses sind beispielsweise Polyphenole wie Resveratrol (aus roten Trauben), Proanthocyanidine (etwa in Beeren) oder Quercetin (Zwiebeln). Weitere Erkenntnisse: Sowohl eine sehr fetthaltige als auch eine überaus salzhaltige Ernährung können die innere Uhr nachhaltig durcheinanderbringen.

Das „Wann“: Die ersten Forschungen zum Einfluss der Essenszeit auf den Energiestoffwechsel gab es bereits im Jahr 1967. Doch inzwischen haben die Forschungsteams deutlich umfassendere Erkenntnisse gewonnen und die komplexen zugrunde liegenden Abläufe in den Zellen beschrieben.
Die Zusammenfassung ist einfach: „Optimale Gesundheit erfordert eine Abstimmung der Energieaufnahme mit dem biologischen Tag, also der aktiven Phase,“ schreibt Ahluwalia. So könne ein Zyklus von Essen und Fasten erzeugt werden, der an die menschliche Physiologie angepasst ist und die Uhren in Takt hält oder bringt. In diesem Zuge beschäftigen sich Forschende vor allem mit dem Konzept des „time restricted eatings“, also zeitbeschränkten Essens.

Dabei ist das Zeitfenster, in dem eine Nahrungsaufnahme stattfindet, zeitlich auf 8 bis 12 Stunden am Tag beschränkt. So wird die Nahrungsaufnahme als einer der „Zeitgeber“ wieder klar der aktiven Phase bei Tageslicht zugeordnet. Verschiedene Studien zeigen, dass die zeitliche Begrenzung nicht nur das Gewicht reduziert, sondern auch die metabolische Gesundheit verbessert, also beispielsweise den Blutzuckerspiegel reguliert. Dabei scheint es ersten Ergebnissen zufolge zielführender zu sein, wenn die Essensperiode eher früh am Tag angesiedelt ist statt spät. Doch auch den Forschenden ist bewusst, dass eine langfristige Umsetzung Pragmatismus erfordert. Deshalb untersuchen sie gerade, inwieweit sich die Essenszeitfenster an Arbeits- oder Schulstundenpläne anpassen lassen. Erste Ergebnisse zeigten: Auch wenn nur während der Woche in einem 9-Stunden-Zeitfenster gegessen wird, und das Essen am Wochenende zeitlich unbeschränkt ist, hat das positive Auswirkungen auf das Gewicht.

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